Gendersensible Sprache mal anders – lieber einfach statt kompliziert
10. März 2023
Hans Pich
Gastautor
Senior Regional Marketing Manager, RWS
In unserer Reihe zum Thema gendersensible Sprache haben wir heute Hans Pich zu Gast. Hans ist seit vielen Jahren in der Übersetzungsbranche in verschiedenen Rollen tätig und beschäftigt sich dabei gerne auch mit Fragen rund um Sprache.
Hans, wie bist Du eigentlich auf das Thema "Gendern" aufmerksam geworden?
Wie wahrscheinlich auch bei vielen anderen bin ich von einer meiner Töchter vor ein paar Jahren mit dem Thema konfrontiert worden. Ziemlich unvermittelt hat sie einfach so gefragt, wie ich dazu stehe. Natürlich hatte ich auch schon zuvor davon gehört, aber ehrlicherweise hatte ich mich mit der gendersensiblen Sprache kaum beschäftigt. Und ich hatte auch nicht das Gefühl, dass es mich konkret beträfe. Sowohl privat als auch bei uns im Unternehmen ist Gleichberechtigung ein Wert, den alle unterstützen. Natürlich sahen wir auch damals schon den Bedarf an Maßnahmen, die dies auch in die praktische Umsetzung bringen. Gendern gehörte aber aus meiner Sicht nicht zu diesen Maßnahmen. Auch ich hielt und halte immer noch die sprachlichen Verrenkungen mancher Methoden für zumindest wenig attraktiv. Außerdem war ich der festen Überzeugung, dass wir eigentlich viel wichtigere Probleme hätten, die ein Mehr an Engagement erfordern würden. Dieser Standpunkt war für meine Tochter natürlich nicht akzeptabel. Die anschließende längere Diskussion würde ich hier jetzt aber mal auslassen.
Hat sich Dein Standpunkt verändert?
Einige Zeit später habe ich auf einer Veranstaltung erlebt, wie stark das Thema der gendersensiblen Sprache doch polarisiert, aber gleichzeitig auch die Beteiligten aktiviert. Und dies auf beiden Seiten des Meinungsspektrums. Ich habe mich dann dazu entschlossen, für eine tekom Jahrestagung zusammen mit einer Kollegin einen Beitrag einzureichen, der sich mit der Frage beschäftigt. Eigentlich sind wir gar nicht davon ausgegangen, dass der Vorschlag angenommen werden würde. Tatsächlich hat die tekom dann aber aus dem Thema einen ganzen Fokustag zu machen. Hier habe ich dann einige Vorträge gehört, die meine Position zu diesem Thema doch stärker beeinflusst haben.
Was hat sich geändert und warum?
Schon bei Vorbereitung unseres Beitrages und natürlich auch schon zuvor, war mir klar, dass Sprache einen großen Einfluss auf unser Denken hat. Das, was wir sagen, prägt sowohl die Bilder in unseren Köpfen als auch die Bilder in den Köpfen unserer Gesprächspartnys. Ich selbst bin als gelernter Informatiker immer schon ein Fan von Präzision sowohl im Sprechen als auch im Denken. Dann ist es natürlich, dass ich, wenn ich Menschen aller Geschlechter meine, das auch so sage.
Die Studien, die zeigen, dass männliche Berufsbezeichnungen auch zu männlichen Bildern in den Köpfen führen, sind ja wahrscheinlich den meisten von uns zumindest vom Hörensagen bekannt. Ob mit gendersensibler Sprache nun ein Wandel in der Gesellschaft eingeleitet werden kann, ist sicher noch eine ganz andere Frage. Es gibt aber einen weiteren Aspekt, der mir persönlich sehr am Herzen liegt. Ich persönlich möchte in meiner Kommunikation anderen Menschen mit Höflichkeit und Wertschätzung begegnen. Und das bedeutet für mich, dass ich mich auch der Frage der gendersensiblen Ansprache stellen muss.
Ich sehe darüber hinaus aber auch für Unternehmen und Organisationen die Notwendigkeit, sich mit der Frage zu beschäftigen. Wir sehen, dass gerade in der jüngeren Generation das Thema einen hohen Stellenwert hat. Und es scheint so zu sein, dass es vor allem die Menschen mit akademischer Ausbildung sind. Es erscheint plausibel, dass sich auch aus diesem Personenkreis die Fachkräfte und Entscheidys von morgen rekrutieren werden. Wenn Gendersensitivität für diese Gruppe wichtig ist, geht man ein hohes Risiko ein, wenn man keine Antwort auf diese Frage hat. Das betrifft sowohl das Marketing und den Vertrieb von Produkten und Services als auch das Recruiting von benötigten Fachkräften.
Das klingt jetzt so, als ob das eher der Beginn, denn das Ende Deiner Reise war.
Ja, denn auch wenn ich nun eine Motivation für gendersensible Sprache für mich gesehen habe, bedeutet das nicht, dass ich mit den üblichen Methoden zufrieden gewesen wäre. Ich halte die meisten der allgemein verwendeten Methoden für wenig geeignet. Aus meiner Sicht verkomplizieren sie die Sprache, sind weder grammatikalisch noch stilistisch attraktiv und an vielen Stellen auch nicht inklusiv für Menschen, denen der Umgang mit geschriebenen oder gesprochenen Texten nicht so leichtfällt. Am gravierendsten ist für mich aber der Umstand, dass sie auch die gewünschte Zielsetzung, nämlich der Ansprache von Menschen in allen Geschlechtsidentitäten nicht ausreichend gut erfüllt.
Wie darf ich das verstehen? Die modernen Formen etwa mit dem Gendergap werden doch von vielen Menschen auch aus den betroffenen Communities akzeptiert.
Hier schimmert wohl wieder der Informatiker bei mir durch. Wenn einerseits das generische Maskulinum, insbesondere mit dem Vermerk "Alle anderen dürfen sich mitgemeint fühlen", zu Recht kritisiert wird, dann sehe ich da nicht wirklich einen systematischen Unterschied zu "in dem Gap" dürfen sich alle mitgemeint fühlen.
Als Informatiker habe ich gelernt, dass es genau zwei Möglichkeiten gibt, um verschiedene Varianten zu definieren. Entweder ich unterscheide jeden einzelnen Fall explizit oder ich finde eine Lösung auf die Unterscheidung zu verzichten, weil sie eigentlich keine Relevanz hat. Konkret bedeutet dies hier: Entweder ich führe alle Geschlechter auf oder keines. Da wir aber inzwischen sehen, dass die Bandbreite geschlechtlicher Identität eher größer als kleiner ist, kann aus meiner Sicht eine explizite Benennung keine Lösung sein. Die Alternative wäre demnach, auf die Geschlechtsidentität überall da zu verzichten, wo sie nicht eindeutig oder bekannt ist.
Das scheint aber nicht so im Trend zu liegen, oder?
Trends verändern sich immer auch mal und nicht jeder Trend wird auch zum Standard. Im Moment haben wir ganz klar einen Trend zur Nutzung von Sonderzeichen, um die bipolaren Grenzen unseres Geschlechterverständnisses zu markieren und sprachlich umzusetzen. Wir sehen aber auch den enormen Widerstand, den diese Form der sprachlichen Umsetzung mit sich bringt. Besonders unangenehm dabei ist, dass hier die eine Seite mit der moralischen Keule auf die Motivation haut, während die andere Fraktion mit der sprachästhetischen Keule zurückschlägt. Mit dieser Konfliktführung wird es kaum möglich sein, eine Lösung, zu finden, da sich die Argumente beider Fraktionen ja in völlig getrennten Themengebieten bewegen.
Es sind also zwei Fragen zu bearbeiten: Will ich gendersensible Sprache verwenden? Und wenn ja, wie soll ich das umsetzen? Die erste Frage ist eine moralische Frage, die zweite eine rein pragmatische. Wenn ich also mich dazu entscheide, gendersensitiv zu formulieren, wie mache ich das am besten. Hier wäre es doch am einfachsten zu evaluieren, welche Methode die für mich am besten geeignete ist. Dabei gibt es sicher mehrere zu berücksichtigende Aspekte. Wie tickt meine Zielgruppe? Was sind die gesellschaftlichen Gepflogenheiten? Welchen Zweck muss mein Text erfüllen? Es gibt sicher noch viele weitere Aspekte für eine Evaluation.
Ich höre da heraus, dass Du hier auch eine Meinung hast.
Bei der Vorbereitung unseres Vortrags auf der tekom sind wir auch auf das Entgendern nach Phettberg aufmerksam geworden. Hier haben wir eine Methode gefunden, die sprachlich einfach ist, grammatikalisch ohne Verrenkungen auskommt und vor allem keine Einschränkungen in meinen Möglichkeiten der sprachlichen Präzision macht.
Wie funktioniert diese Methode?
Kurz gesagt wird an Worte, die Personen bezeichnen oder ansprechen ein "y" im Singular und "ys" im Plural an die Stammform gehängt. So entsteht eine geschlechtsfreie Bezeichnung, die sprachlich sächlich verwendet werden kann. Dabei bleiben mir alle anderen Formen erhalten, sodass ich sie im Text auch weiterhin verwenden kann, wenn es denn passt.
Ob sich das wohl durchsetzen wird? Worte wie Kundys, Terminologys oder Redakteurys klingen doch etwas ungewöhnlich.
Natürlich muss man da auch diese Vorbehalte sehen. Aus meiner Erfahrung scheinen sich Menschen, die sich mit der Methode befassen, recht schnell an das y zu gewöhnen. Es ist recht einfach und lässt sich auch leicht sprechen. Und seien wir ehrlich, Worte mit Gap gehen vielen ja im Gesprochenen anfänglich auch nicht leicht von den Lippen.
Letztlich zählt für mich, ob eine Methode die gestellte Zielsetzung erfüllt, ob sie Sprache vereinfacht oder erschwert und ob die Texte ihre Aufgabe erfüllen. Das versuche ich möglichst objektiv zu evaluieren und auf dieser Basis dann meine Entscheidung zu treffen.
Ob sich das dann in der Gesellschaft durchsetzt, steht auf einem ganz anderen Blatt. Mir erscheint jedoch im letzten Jahr die Popularität vom Entgendern nach Phettberg deutlich zugenommen zu haben. Schauen wir mal, wie die Verbreitung in ein paar Jahren aussieht.
Vielen Dank für das Gespräch und die interessanten Einblicke!
Was ist Ihre Meinung? Gendern Sie oder machen Sie bei diesem Thema erst gar nicht mit? Ihre Meinung interessiert uns!
Zur Person:
Hans Pich studierte Informatik mit Nebenfach BWL: Personal- und Organisationswesen an der Universität Passau. Seit 1998 ist er in verschiedenen Rollen in der Übersetzungsbranche tätig. Über Projektmanagement, Vertrieb und IT ist nun für das Marketing im deutschsprachigen Raum für Trados und Übersetzungsservices bei der RWS verantwortlich.
"Gendern" in der Kaleidoscope Gruppe
Inklusive Sprache ist Kaleidoscope und seiner Tochterfirma Eurocom ein Anliegen. Für uns war der Website-Relaunch der Startpunkt, unsere Texte neu und inklusiv zu verfassen. Dass es dabei nicht nur um die Schreibweise von *innen oder _innen ging, verstand sich von selbst. Genauso wie das Vorhaben, inklusive Sprache in allen Textsorten zu verwirklichen und zu leben. Unterstützung bekommen wir dabei von unseren eigenen Softwarelösungen wie etwa Kalcium Checkterm, mit dem wir unsere Text auf die festgelegte, korrekte Schreibweise überprüfen.
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